Epilepsie bei Katzen: Kleinhirn-, Muskel- & Skelettatrophie

Atrophien bei Katzen

Die Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bis hin zum Absterben von Geweben und Organen, z. B. infolge eines eingeschränkten Ernährungszustands bzw. Stoffwechsels ist ein Prozess. Bei diesem entwickeln sich die Zellen zunächst normal, degenerieren aber später aufgrund eines internen Zelldefekts. Dieser Vorgang betrifft hauptsächlich die Zellkörper von Nervenzellen im Klein- & Großhirn, Hirnstamm, Rückenmark oder mehrere Bereiche gleichzeitig. 

  • Kleinhirnatrophie
    Synonyme: Kleinhirnschwund, zerebrale Atrophie, zerebelläre kortikale Atrophie (engl. CCAs)

  • amyotrophe Lateralsklerose
    Synonyme: myatrophe Lateralsklerose, Charcot-Syndrom, Lou-Gehrig-Syndrom

  • spinale Muskelatrophie
    Synonyme: Morbus Werdnig-Hoffmann, chronische spätinfatile intermediare spinale Muskelatrophie, Morbus Kugelberg-Welander

  • kognitive Dysfunktion 
    Synonyme: Demenz, Alzheimer, Morbus Alzheimer

Kleinhirnatrophie

Definition

Die Kleinhirnatrophie ist wahrscheinlich die häufigste Art einer Nervendegeneration bei Haustieren. Ihr Ursprung ist hauptsächlich auf einen Verlust von Nervenzellen (Purkinjezellen) der Kleinhirnrinde zurückzuführen. Die Krankheit ist bei Katzen viel seltener als bei anderen Tierarten. Es ist durchaus möglich, dass es zwischen den verschiedenen CCAs, die bei unterschiedlichen Rassen/Arten vorkommen, genetische Überlappungen gibt. Gesichert sind Unterschiede in Beginn, Verlauf und Schweregrad der Anzeichen/Schäden, was auf eine Bandbreite verschiedener Mechanismen schließen lässt. Aus der Mehrzahl von Züchtungsstudien, Stammbaum- & Segregationsanalysen1, in denen Fälle von kortikalen Kleinhirnatrophien beschrieben werden, geht eine autosomal-rezessive2 Vererbung hervor.

 

 

 

 

 

1Segregationsanalyse=Verfahren, bei dem ermittelt wird, wie oft ein erbliches Merkmal in einem Familienstammbaum vorkommt, um zu ergründen, mit welchen Erbvorgängen diese Ergebnisse erklärt werden können.

2autosomal-rezessiv=bei beiden Elternteile müssen bereits die Gendefekte vorliegen, ohne daran selbst zu erkranken

 

Fortschreitende Störung

Rassespezifische & genetisch bedingte vorzeitige Alterung und Tod von Nervenzellen der Kleinhirnrinde. Mögliche Gründe sind ein Energieversorgungsmangel, eine Entzündung oder die Schädlichkeit von Neurotransmittern (Glutamat & Kainsäure) - die zu einer Reizüberflutung und damit zum programmierten Zelltod führen. Betroffen sind in erster Linie Kätzchen und seltener Erwachsene.

Nicht fortschreitende Störung

Aufgrund einer Virusinfektion mit Katzenseuche (feline Panleukopenie) im Mutterleib oder kurz nach der Geburt.

Entstehung & Entwicklung

Die Schäden sind im sog. Kleinhirnwurm, der für einen sicheren Gang & Stand sorgt und den Lappen neben der Medianlinie verortet und fallen meist schwer aus. Dabei zeigen die Purkinjezellen verschiedene Degenerationsstadien wie z. B. die Chromatolyse. Damit wird das Schwinden, der sog. Nissl-Schollen in der Nervenzelle, nach Durchtrennung des Nervenzellfortsatzes oder infektiöser/toxischer Schädigung bezeichnet. Im weiteren Verlauf kann ein Großteil dieser Zellen verloren gehen und es kommt zum Kleinhirnschwund.

Mit dem Verlust der Purkinjezellen geht normalerweise auch die Degeneration und der Verlust von Granulazellen einher. Andere häufige Veränderungen infolge des Purkinjeverlustes in stark betroffenen Arealen sind das Schrumpfen der äußeren Schicht der Kleinhirnrinde, die Wucherung sog. Bergmann-Gliazellen, leerer Korbzellen und die Bildung geschwollener Purkinjezellfortsätze in der Granulazellschicht bzw. der weißen Kleinhirnsubstanz. Bei Katzen wurde die mutmaßliche Degeneration von Nervenzellen in den sog. Olivenkernen durch vorhergehenden primären Purkinje-Zellverlust beschrieben. Die erblich bedingten Erkrankungen weisen Einfügungen in bestimmten Gene des ZNS auf, was zu einer veränderten Funktion und neurotoxischen Wirkungen der entsprechenden Proteine führt.

Anzeichen

Die klinischen Anzeichen sind in der Regel ziemlich dramatisch. Es wurde das Fortschreiten der Symptome bis zur Entwicklung einer Gehunfähigkeit inkl. wiederholtem Fallen beobachtet. Erste Manifestationen werden typischerweise zwischen 6 und 40 Monaten beobachtet und sind über mehrere Jahre langsam fortschreitend. Möglich sind aber auch schnelle Krankheitsverläufe, bei denen es in 3-12 Wochen zu ausgeprägten Symptomen kommt. In Einzelfällen bilden sich die Symptome bis zu einem Plateau aus und bleiben anschließend stabil. Im Falle von Wildkatzen, einer Perserkatze & Siamkatze sowie einer kurzhaarigen Hauskatze, wurde auch über einen Beginn nach über 1 Jahr berichtet. Die letztere Katze zeigte auch eine Netzhautdegeneration.

  • Bewegungsstörungen: breite Haltung und Gangart, symmetrisches überschießen von Bewegungen, Krampf & Überstreckung des Rückens inkl. Hals und Kopf nach hinten, Spastizität, unwillkürliche Augenbewegungen, Netzhautdegeneration, schlechter Blinzelreflex trotz normalen Sehvermögens, der Mundregion

  • Zittern

  • Verhaltensauffälligkeiten

  • Depressionen

Fortschreitend

Bei Kurzhaarkatzen werden oft erste Anzeichen im Alter von 7–9 Wochen sichtbar. In einem Fall traten bei zwei braunen Havanna-Kätzchen die ersten Anzeichen bereits nach 4 und 5 Wochen auf; eine erbliche Störung wird vermutet.

Nicht fortschreitend

Hier erscheinen die ersten Anzeichen meist im Alter von 2 bis 5 Wochen. Eine veränderte Denkweise, Defizite der eigenen Körperwahrnehmung & Lähmung sind keine Merkmale dieses Zustands.

Der Verlauf der Symptome ist unterschiedlich - deshalb ist Vorsicht bei der Interpretation angesagt. Wenn ein Kätzchen mit einer Kleinhirndegeneration, aufgrund einer Infektion wächst und aktiver wird, scheint sich die Kleinhirnataxie zu verschlimmern, die Krankheit selbst ist jedoch nicht fortschreitend.

Differenzialdiagnose

  • Lysosomale Speicherkrankheiten unterscheiden sich durch Symptome, die sich auf andere Teile des ZNS als das Kleinhirn beziehen.

  • Vergiftung (z. B. Hexachlorophen/Desinfektionsmittel) – unterschiedlich je nach Anfälligkeit.

  • infektiöse Entzündungskrankheiten wie z. B. FIP

  • Kleinhirnzyste - Differenzierung durch MRT oder CT.

  • Kleinhirntumor (Medulloblastom) berichtet von Katzen die jünger als 1 Jahr waren; Differenzierung durch MRT oder CT und Liquor-Analyse.

Diagnose

In vielen Fällen von Kleinhirnschwund wird auch festgestellt, dass auf der gleichen oder entgegengesetzten Körperseite Anomalien der Tiefensensibilität vorliegen, von denen angenommen wird, dass sie bei einer reinen Kleinhirnerkrankung nicht auftreten.

  • Bei der Bildgebung mittels MRT, kann das Kleinhirn kleiner als normal sein.

  • Komplettes Blutbild, Biochemie & Urinanalyse weisen für gewöhnlich keine Auffälligkeiten auf.

  • Liquoranalyse - normal bei nicht fortschreitender Erkrankung; normale oder hohe Proteinkonzentration und normale Zellzahl bei fortschreitender Erkrankung.

  • Eine Kleinhirnbiopsie stellt letztlich das endgültige Mittel zur Lebenddiagnose dar.

Behandlung & Verhalten

Es gibt keine wirksamen Behandlungen der Ursachen und Neurodiagnostika waren oft bei der Lebenddiagnose nicht von Vorteil. 

  • Amantadin (Virostatikum & Parkinson-Medikament) hat eine potenzierende Wirkung auf die auf Dopamin reagierende/enthaltende Neurotransmission im ZNS und die Nebenwirkungen, die sich aus der Hemmung des Neurotransmitters Acetylcholin ergeben. Buspiron findet Anwendung als Serotonin-Agonist gegen Angststörungen. 

  • Neuroprotektive Wirkstoffe (Coenzym Q10 & Acetyl-L-Carnitin).

  • ambulante Pflege - sofern nicht schwerwiegende Defizite die Pflege zu Hause ausschließen.

  • Aktivität auf sichere Bereiche beschränken; vermeiden/absichern von Treppen, Teichen usw.

  • keine besondere Diät - Einschränkungen bzgl. der Aufnahme gelten z. B. wenn Bewegungsstörungen im Mundbereich von Erbrechen begleitet werden. Hierdurch kann es  zu einer unabsichtlichen Einatmung kommen und die Katze erstickt oder ertrinkt.

  • bei der nicht fortschreitenden Form kann sich der Zustand der Katze verbessern, wenn sie lernt Behinderungen auszugleichen.

  • Der neurologische Status sollte in wöchentlichen bis monatlichen Abständen überprüft werden. Hilfreich sind in regelmäßigen Abständen erstellte Videoaufnahmen der Katze inkl. einer Dokumentation.

  • Das Fortschreiten der Symptome kann von Katze zu Katze stark variieren und reicht von Tagen bis zu Jahren.

  • Keine trächtigen Tiere mit modifiziertem Lebendvirus impfen.

  • Keine Katzen mit einer vorliegenden Geschichte von Kleinhirnkrankheiten zur Zucht verwenden.

amyotrophe Lateralsklerose & spinale Muskelatrophie

Definition

Amyotrophe Lateralsklerose & spinale Muskelatrophie gehören zu den sog. Motoneuronerkrankungen (MND). Das sind degenerative Erkrankungen des ZNS, die Motoneurone des Rückenmarks, des Hirnstamms und des motorischen Kortex betreffen. Als Motoneuron wird eine Nervenzelle des ZNS bezeichnet, die mit ihren Fortsätzen direkte/indirekte Kontrolle über einen Muskel ausübt. Bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS), sind obere und untere Motoneuronen beteiligt, während bei fortschreitender spinaler Muskelatrophie (SMA) und verwandten Syndromen hauptsächlich die Motoneuronen im Rückenmark und in unterschiedlichem Maß auch der Hirnstamm beteiligt sind.

Verbreitung

Bei der spinalen Muskelatrophie weisen einige Rassen zusätzlich zu den Anzeichen betroffener unterer Motoneuronen auch Symptome an den Gliedmaßen auf. Die durch eine Dysfunktion des Gehirnstamms ausgelösten Störungen werden in Form von Stimmstörung, krankhafter Erweiterung der Speiseröhre, unwillkürlichen Zungenbewegungen oder einer Kleinhirnstörung mit Kopfzittern sichtbar.

Entstehung & Entwicklung

Mutationen im Superoxiddismutase-Gen (SOD 1) bei der familiären ALS legen nahe, dass die Nervenzellen an oxidativem Stress sterben. Es wird angenommen, dass die spinalen Muskelatrophien einen vorzeitigen Zelltod darstellen und vermutet, dass es sich bei diesen Erkrankungen um autosomal vererbte Merkmale handelt. Bei einigen Formen der SMA kann es zu einer Degeneration von Nervenzellen des Kleinhirns kommen. Es ist momentan nicht klar, ob alle diese Störungen in dieselbe Kategorie gehören (z. B. SMA) oder ob einige besser als neuronale Multisystem-Degeneration eingestuft werden sollten. Bei den meisten Störungen kommt es in den ersten Lebenswochen bis Monaten zu Funktionsstörungen. Über eine bei Erwachsenen auftretende SMA, ähnlich wie bei amyotropher Lateralsklerose (Lou-Gehrig-Krankheit) wird bei Katzen nur selten berichtet. 

Die Motoneuronen scheinen geschwollen zu sein, die Chromatolyse ist ein durchgehender Befund, der zentral und allmählich die gesamte Nissl-Scholle (Zellorganellen im Zellkörper) einbezieht. Betroffene Nervenzellen weisen Kernveränderungen mit peripherer exzentrischer Verschiebung, Abflachung und Verdichtung des Chromatins im Zellkern bei gleichzeitiger Schrumpfung der Kernmembran auf. Einige Nervenzellen sind eosinophil - rotorange bis rosa Einfärbung durch den Farbstoff Eosin, während andere ein glasartiges Aussehen annehmen.

Typisch für ein fortgeschrittenes Stadium von MND ist die Zerstörung absterbender Nervenzellen durch fremdstoffaufnehmende Leukozyten u. Mikroglia, Nervenzellabbau und ausgeprägte Ansammlungen von Gliazellen im ZNS. Auffallend sind auch die Durchtrennung der Nervenzellfortsätze (Waller-Degeneration) in den peripheren motorischen Nerven und der Schwund von Nervenzellen der Muskulatur. Unter verschiedenen Bedingungen wurde die Anhäufung abnormer Übertragungen von Phosphat- oder Pyrophosphat-Gruppen auf ein Zielmolekül in den Strukturen des Zytoskeletts der Nervenzellen, in geschwollenen entarteten Motoneuronen beschrieben. 

Anzeichen

Im Allgemeinen weisen alle Katzen mit MND eine Schwäche der Gliedmaßen und Kopfmuskulatur mit (teilweiser) Lähmung und fortschreitendem Muskelschwund auf. Morphologisch betrachtet sind sich alle diese Erkrankungen ähnlich. Über Rückenmarksmuskelatrophie bei Katzen wurde in mehreren Fällen berichtet. Das typische Krankheitsbild ist eine rasch fortschreitende Nervenschädigung in den ersten 1–6 Lebensmonaten. Leichte und teilweise Lähmungen mit vermindertem bis fehlendem Wirbelsäulenreflexe und neurogener Muskelatrophie entwickeln sich innerhalb weniger Wochen zu einer Lähmung aus. Eine Lähmung des Beckens tritt typischerweise vor der Lähmung der Brust auf. Bei einer ausgeprägten Muskelatrophie können die Gelenke der Gliedmaßen fehl positioniert sein und unbeweglich werden. Die Zwischenform tritt mit 6–12 Monaten ein und entwickelt sich im Alter von 2–3 Jahren zur vollständigen Lähmung. Die chronische Form ist klinisch (fast) nicht erkennbar.

Diagnose

Die vorläufige Diagnose einer spinalen Muskelatrophie beruht auf Symptomen, historischen und klinischen Befunden sowie auffälligen Ergebnissen von Elektrodiagnostik-Tests und Nerven- & Muskelbiopsien. Eine endgültige Diagnose hängt von den histopathologischen Befunden von Hirnstamm und Rückenmark ab.

Behandlung

Gegenwärtig gibt es keine wirksame Behandlung für diese Gruppe von Krankheiten. Es gibt neuere Belege dafür, dass 4-Aminopyridin, ein Wirkstoff, der sowohl die Leitung der Nervenzellfortsätze als auch die Freisetzung von Acetylcholin an der neuromuskulären Verbindung verbessern kann, als mögliche Therapie für SMA-Patienten infrage kommt.