Epilepsie bei Katzen: lysosomale Speicherkrankheiten

Definition

Lysosomen (lysis "Lösung"; soma "Körper") wurden erstmals 1955 vom Medizin-Nobelpreisträger Prof. Dr. Christian René de Duve beschrieben. Er entdeckte, dass Lysosomen (10) saure Organellen sind, die eine Reihe von Enzymen zur Aufspaltung enthalten und die Hydrolyse katalysieren - eine Reaktion, bei der organische Moleküle durch das Hinzufügen von Wasser abgebaut werden. Lysosomen sind kleine von einer Membran umschlossenen Zellorganellen - also kleine Funktionseinheiten innerhalb von Zellen.

Die Lysosomorganelle ist also ein von einer Lipidmembran umschlossenes System und im flüssigen Zellinhalt (11) zuständig für die Aufspaltung unerwünschter Substanzen. Anstelle einer einheitlichen Struktur, wie sie für alle anderen Organellen typisch ist, variieren Lysosomen in Größe und Form, je nachdem, welchen Inhalt sie verdauen. Am häufigsten sind Lysosomen kleine (0,2 bis 0,5 µm im Durchmesser) ovale oder kugelförmige Körper. Im Durchschnitt enthält eine Zelle etwa 300 Lysosomen.

Lysosomale Speicherkrankheiten stellen eine Gruppe von seltenen, erblichen und angeborenen Stoffwechselstörungen dar. Ursächlich hierfür sind Enzymdefekte, die ihrerseits auf Gendefekte zurückzuführen sind. Die zuständigen Lysosomen haben als Hauptfunktion den Abbau von Mehrfachzuckern (Glukosaminglykane) zu bewältigen. Störungen in diesem Ablauf führen zur Unfähigkeit, die für die enzymatische Aktivität notwendige Proteine oder Cofaktoren zu aktivieren. Dadurch kommt es zu einer Unterbrechung des Abbaus bestimmter Substanzen und zur Ansammlung bzw. Kombination von Nebenprodukten des Stoffwechsels. Davon betroffen sind Nervenzellen, Lysosomen, Nervenzell- und Zytoplasmafortsätze oder die umgebenden Neurofilze.

Diese Störungen werden bei Katzen in Glykoproteinosen, Glykogenosen, Sphingolipidosen, Proteinosen und Mukopolysaccharidosen eingeteilt. Innerhalb dieser Hauptgruppen werden die Speicherkrankheiten dann nicht nach dem fehlenden Enzym benannt, sondern dem Speicherprodukt, dem Namen des Entdeckers oder nur durchnummeriert. Im Detail sind das Alpha-Mannosidose, Glykogenose Typ IV (Andersen-Krankheit), Gangliosidose GM1 Typ I / Typ II und GM2 Typ II, Globoidzellen-Leukodystrophie (Morbus Krabbe), Sphingomyelin(lipid)ose (Morbus Niemann-Pick), metachromatische Leukodystrophie, Ceroidlipofuszinose, Mukolipidose Typ II (I-Zellkrankheit), Mukopolysaccharidose Typ I (Hurler-Pfaundler-Syndrom - Scheie Krankheit) / Typ II (Hunter-Syndrom) / Typ VI (Maroteaux-Lamy-Syndrom) und Typ VII (Sly-Syndrom). 

Je nach Enzymdefekt handelt es sich um Glykolipide (Zerebroside, Ganglioside und Sphingomyelin), Glykoproteine (α-Mannosid), Glykan (Glykogen), Amylopektin und/oder Glykosaminoglykane, bekannt als Mukopolysaccharide (Dermatan- und Heparansulfat). Obwohl sich die Speicherung auf das Nervengewebe (Gangliosidose) beschränken kann, sind oft alle Gewebe betroffen (Mannosidose etc.). Die meisten dieser Krankheiten wurden bei bestimmten Katzenrassen ausgemacht und haben einen autosomal-rezessiven Vererbungsmodus. Das bedeutet, dass dieser Defekt nur in Erscheinung tritt, wenn beide Elternteile darüber verfügen, obwohl sie selbst symptomlos sind. Bis auf Mukopolysaccharidose Typ II (xchromosomal-rezessiv) werden alle Erkrankungen autosomal-rezessiv weitergegeben. An lysosomalen Störungen erkranken männliche und weibliche Katzen gleichermaßen.

Einige von diesen Speicherkrankheiten werden in Tierversuchen für menschliche Zwecke verwendet und sind daher ausführlich untersucht worden. Die meisten betroffenen Tiere sind 2 Jahre. In fast allen Fällen kommt es zu einer Kaskade von fatalen Ereignissen. Der Tod tritt je nach Form der Erkrankung direkt bei der Geburt (Abort) bis zu wenige Jahren später ein. Es gibt lediglich vereinzelt experimentelle Therapien; bei der Mannosidose scheint sich seit Frühjahr 2018 zumindest beim Menschen eine Lösung in Form einer Enzymersatztherapie anzubahnen.

10 lysosomale Speicherkrankheiten, die bei Katzen Krampfanfälle auslösen

Glykoproteinose > Alpha-Mannosidose

Rassen: kurz- und langhaarige Hauskatzen, Perser 

Mangel/Defekt: Alpha-Mannosidase/Mannose und andere Oligosaccharide - mangelhafte Myelinisierung und Degeneration der Nervenzellfortsätze in der weißen Substanz.

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: 6 bis 12 Monate

Symptome: Bewegungsstörungen inkl. Zittern, festliegen, vermindertes Sehvermögen, Hornhauttrübungen, graue und dunkle Granulationsbezirke im Bereich der Area centralis (Stelle des schärfsten Sehens auf der Netzhaut), Vergrößerung von Leber- und Milz, Skelettanomalien inkl. Schädel und Gesicht.

Diagnose: Spektroskopie, Urinanalyse, T2-Abfall der ADC-Werte in grauer & weißer Substanz. ADC-Wert steht dabei für die Beweglichkeit von Wassermolekülen in einer bestimmten Region. Dieser steht im Zusammenhang mit neuronaler Schwellung, abnormalen Myelinwerten und vermehrtem Auftreten von gewucherten & vergrößerten Astrozyten.

Glykogenose > Typ IV

Rassen: norwegische Waldkatze, kurzhaarige Hauskatze

Mangel/Defekt: Mangel des Verzweigungsenzyms Amylo-1,4–1,6-Transglucosidase das infolge einer Genmutation verursacht wird und bei der es zur Amylopektin-Ansammlung im Zytosol kommt. 

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: Tod erfolgt bei oder kurz nach der Geburt (Norweger) bis zum Alter von 5 bis 7 Monaten durch Herzerkrankung und Herzrhythmusstörung.

Symptome: ganzkörperbeteiligter Muskelschwund & Muskelzittern, kaltes Fieber, Schwäche bis zur vollständigen Lähmung aller Gliedmaßen, periphere Nervenstörungen, fortschreitender neurologischer Verfall, Herzanomalien.

Diagnose: Echokardiografie kann Herzveränderungen aufweisen.

Therapie: Verabreichung von Glukose kann das Überleben bis in das Erwachsenenalter ermöglichen.

Sphingolipidosen > Gangliosidose GM1, Typ I

Rassen: Korat, Siam, europäisch und orientalisch Kurzhaar

Mangel/Defekt: β-Galactosidase/GM1-Ganglioside

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: 2-3 Monaten

Symptome: Veränderungen der Augen in Form von kleinen multiplen Spots, Skelettanomalien inkl. kleineren Gesichtsfehlbildungen, Trichterbrust, Hüftgelenksverrenkung, Verschmelzung der Halswirbel, Hornhautrübung, Bewegungsstörungen

Diagnose: MRT Befunde umfassen eine vergrößerte graue Substanz und ungewöhnliche Signalitätsstärke der weißen Substanz auf T2-Bildern oder diffuse Hyperintensität der weißen Substanz inkl. Schwund von Hirngewebe.

Sphingolipidosen > Gangliosidose GM1, Typ II

Rassen: Korat, Siam, europäisch und orientalisch Kurzhaar 

Mangel/Defekt: β-Galaktosidase/GM1-Ganglioside

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: 2-3 Monaten

Symptome: Verhaltens- und Wahrnehmungsdefizite, Bewegungsstörungen, Kopfzittern, Skelettanomalien inkl. kleinere Gesichtsfehlbildungen, Trichterbrust, Hüftgelenksverrenkung, Verschmelzung der Halswirbel, Hornhauttrübung, Veränderungen der Augen in Form von kleinen multiplen Spots

Diagnose: MRT Befunde umfassen eine vergrößerte graue Substanz und ungewöhnliche Signalitätsstärke der weißen Substanz auf T2-Bildern oder diffuse Hyperintensität der weißen Substanz inkl. Schwund von Hirngewebe.

Sphingolipidosen > Gangliosidose GM2, Typ II

Rassen: europäisch Kurzhaar, Korat, Burmese

Mangel/Defekt: Betahexosaminidase B, GM2-Ganglioside

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: ca. 6 Wochen

Problem: Anhäufung von Glykolipiden beschränkt auf Nervengewebe.

Symptome: Verhaltens- und Wahrnehmungsdefizite, fortschreitende Bewegungsstörungen, Kopfzittern.

Diagnose: MRT-Befunde umfassen Nerven- und Gehirnschwund mit unterschiedlichem Schweregrad, beidseitige T2-Hyperintensität sowie T1-Hypointensität des Schweifkerns (Kerngebiet im Großhirn) und diffuse T2-Hyperintensität der weißen Substanz.

Sphingolipidosen > Globoidzellen-Leukodystrophie

Rassen: kurzhaarige und langhaarige Hauskatzen

Mangel/Defekt: β-Galactocerebrosidase. Hier führt das Enzym zur Anhäufung eines Sphingolipids namens Psychosin. Psychosin ist giftig für die Gliazellen der grauen & weißen Substanz und die Schwannzellen - diese bilden im peripheren Nervensystem die spiralförmige Umschließung der markhaltigen Nervenfasern. Dadurch ist die weiße Substanz sowohl im zentralen Nervensystem (ZNS) als auch im peripheren Nervensystem (PNS) betroffen. Hinzu kommt eine Anreicherung von vergrößerten aufgeblähten Makrophagen in Gefäßnähe, was zu einer starken Degeneration der weißen Substanz führt.

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: erste Lebensmonate

Symptome: Zittern, Anfälle, Bewegungs- (Lähmungen) und visuelle Störungen (schielen), periphere Nervenstörungen.

Diagnose: Leicht ausgeprägter Wasserkopf, betroffen ist hauptsächlich die weiße Substanz, die an Masse verliert (Corona radiata, Corpus callosum, Tractus opticus, Radiatio optica, Fimbria, Fornix, kaudaler Kleinhirnpedunkel), es zeigen sich beidseitige symmetrische Hyperintensitäten in der T2-Wichtung und Flairsequenzen, die in T1-gewichteten Bildern dunkler sind. Es erfolgt keine Kontrastmittelanreicherung, Veränderungen in der weißen Substanz sind erst ab dem 4ten Lebensmonat im MRT erkennbar.

Prognose: Die meisten Katzen müssen im ersten Lebensjahr euthanasiert werden.

Sphingolipidosen > Sphingomyelinose/Sphingomyelinlipidose

Rassen: kurzhaarige Hauskatzen, Siam, Balinese

Unterformen: Typ A Balinese, Siam/Typ B kurzhaarige Hauskatze/Typ C kurzhaarige Hauskatze 

Mangel/Defekt: Sphingomyelinase

Unterformen: Typ A Sphingomyelinase/Type B Cholesterol-Veresterungs-Mangel & Typ CNPC1 Genmutation

Histochemie: ja

Erste Anzeichen im Alter von: bei Siamesen zwischen dem 2 und 5 Monat 

Symptome: Hirnnervenzellsterben, Zittern nach 8-12 Wochen - langsam fortschreitend, bis die Katze nicht mehr stehen kann, krankhaft gesteigerte Beweglichkeit der Skelettmuskulatur inkl. unwillkürlicher Bewegungen, krampfartige Überstreckung von Hals und Rücken nach hinten, Kleinhirnstörungen, periphere Nervenstörungen, vergrößerter Bauchraum verursacht durch vergrößerte Leber & Milz. Die Schwere ist je nach Untergruppe unterschiedlich.

Diagnose: Urin, verlangsamte Nervenübertragungsgeschwindigkeit, Nervenbiopsie, Hautfibroblastenkultur.

Sphingolipidosen > metachromatische Leukodystrophie

Rassen: kurzhaarige Hauskatze

Mangel/Defekt: Arylsulfatase A/Sulfatide

Erste Anzeichen im Alter von: 2 Wochen bis 4 Monate

Symptome: fortschreitende Bewegungsstörungen (Bewegungen schießen über das Ziel hinaus), krampfartige Überstreckung von Hals und Rücken nach hinten, Zittern, Verhaltensstörungen, Anfälle.

Proteinose > Ceroidlipofuszinose

Rassen: kurzhaarige Hauskatzen, Siam

Mangel/Defekt: Im Gegensatz zu vielen anderen Speicherkrankheiten ist hier die zugrunde liegende Krankheitsursache nicht ganz geklärt. Einige Studien deuteten darauf hin, dass der primäre Defekt seinen Ursprung eher im mitochondrialen als lysosomalen Stoffwechselabbau hat.

Erste Anzeichen im Alter von: 1-2 vereinzelt mit 2-7 Jahren

Symptome: massiver Kleinhirnschwund, Sehbehinderung, Persönlichkeitsveränderungen, Bewegungsstörungen, unabgestimmte Kieferbewegungen, Krampfanfälle, Demenz. Bei einigen Formen dieser Erkrankung kommt es zu neurologischem Abbau, geistiger Behinderung, Gesichtsfehlbildungen, Entwicklungsstörungen und Hörverlust.

Besonderheit: das angehäufte Speichermaterial autofluoresziert unter UV-Licht. 

Mukopolysaccharidose > Mukolipidose Typ II

Rassen: kurzhaarige Hauskatzen

Mangel/Defekt: N-Acetylglucosamin-1-Phosphotransferase/Makromoleküle, Mukopolysaccharide (sichtbar als lysosomale Einschlüsse).

Erste Anzeichen im Alter von: 7 Monaten

Symptome: Gesichtsfehlbildungen, Störung des Knochenwachstums, mangelhafte Knochenbildung, große Pfoten, Hautsteifigkeit, fehlende Beweglichkeit der Wirbelsäule, Bewegungsstörungen, Netzhautdegeneration, Nervenschäden

4 weitere lysosomale Speicherkrankheiten bei Katzen

Mukopolysaccharidose > Mukopolysaccharidose, Typ I

Rassen: kurzhaarige Hauskatze, Korat

Mangel/Defekt: Alpha-L-Iduronidase

DNA-Test: ja

Erste Anzeichen im Alter von: 4-6 Monaten

Symptome: abgeflachtes Gesicht, Lahmheit, Hornhautrübung, Knochenfehlbildungen, progressive - nicht entzündliche Gelenkerkrankungen mit Instabilitäten, teilweise Herzversagen. Die Symptome schreiten nach 9 Monaten nicht weiter fort.

Diagnose: Skelettanomalien inkl. Fehlbildungen rund um Schädel und Gesicht sind durch Radiografie auszumachen.

Mukopolysaccharidose > Mukopolysaccharidose Typ II

Rassen: kurzhaarige Hauskatze, Siam

Mangel/Defekt: Iduronate-2-Sulfatase

Symptome: Zwergwuchs

Mukopolysaccharidose > Mukopolysaccharidose, Typ VI

Rassen: kurzhaarige Hauskatze, Siam

Mangel/Defekt: Arylsulfatase B - schwerste Unterform 

DNA-Test: Toluidinblautest, der einen Überschuss an Mukopolysacchariden im Urin nachweist.

Erste Anzeichen im Alter von: 6 Monate (kurzhaarige Hauskatze)

Symptome: Bei diesem Typ kommt es nicht zu primären neurologischen Symptomen und die Katzen erreichen teilw. ein mittleres Alter. Es gibt zwei sog. ARSB-Mutationen, die für einen schweren und einen milden Phänotyp bei den Siam- und auch Hauskatzen verantwortlich sind. Die neurologischen Symptome stehen in solchen Fällen in Zusammenhang mit Knochen- und Knorpeldeformierungen und Rückenmarkskompression. Bei allen Typen abnorme Knorpelbildung mit anschließender Knochen- und Gelenkfehlbildung.

Hornhauttrübung, Skelettanomalien (sind stärker ausgeprägt als bei Typ I) inkl. Zwergwuchs, Gesichtsfehlbildungen (kurzes und breites Gesicht, Nasenmuschelanomalien, weit auseinanderliegende Lidspalten, verdickte Augenlider, Trichterbrust, Veränderungen des Zungenbeins, Verrenkungen von Hüftgelenk- und Kniescheiben, Hüftfehlbildungen, Verschmelzung der Halswirbel, die Veränderungen der Wirbelsäule ähneln Hypervitaminose A. 

Diagnose: Belastungsradiografie bzgl. Gelenkinstabilität.

Therapie: Die Injektion von künstlichen Proteinenzymen in Venen und/oder den Liquorraum wurde bereits erfolgreich angewendet.

Mukopolysaccharidose > Mukopolysaccharidose, Typ VII

Rassen: kurzhaarige Hauskatzen

Mangel/Defekt: β-Glucuronidase/Heparan-,Dermatan- und Chondroitin-4- und -6-Sulfat.

Erste Anzeichen im Alter von: 3 Monaten

Symptome: Zwergwuchs, Krampfanfälle, Vakuolen in Lymphozyten, Schaumzellen in allen Organen

Prognose: Katzen aller Typen (I, II, VI und VII) können mehre Jahre alt werden, es kommt allerdings zu fortschreitenden Bewegungsstörungen

Entstehung

Extrazelluläres Material, das von lysosomalen Enzymen angegriffen wird, gelangt durch Einstülpung und Abschnürung in die Zelle. Das kann durch die Aufnahme flüssiger/gelöster Bestandteile (Pinozytose), durch die Bindung von Material an Rezeptoren in der Plasmamembran (rezeptorvermittelte Endozytose) und die Aufnahme durch spezialisierte Zellen (Phagozyten) mittels Phagozytose geschehen. Das Ganze ist abhängig vom Inhalt des einverleibten Materials und dem Zelltyp. Da der Abbau komplexer zellulärer Moleküle hauptsächlich in den Lysosomen erfolgt, führen hier Erbschäden zu lysosomalen Speicherkrankheiten. Die jeweilige Speicherung erfolgt in den Zelltypen, die normalerweise für den Abbau der entsprechenden Verbindung zuständig sind. Der ursächliche Enzymdefekt kann sich auf verschiedenen Ebenen befinden. Das angehäufte Nebenprodukt führt zu zellulärer Fehlfunktion aufgrund von Zellschwellung, toxischer Wirkung des oder der angehäuften Materialien oder beidem. Ursächlich ist z. B. eine Mutation im Enzym selbst oder durch den Vorgang, bei dem ein Protein nach der vollständigen Synthese durch elektrische Bindung eines Moleküls verändert wird - die Veränderung wird durch Enzyme beschleunigt.

Lysosomale Enzyme werden im endoplasmatischen Retikulum während des Transports mit Proteinen gekoppelt, synthetisiert und in das endoplasmatische Retikulumlumen transferiert. Dort werden sie in Transportvesikel gepackt und mittels intrazellulären Proteinverteilungstransport zu den Lysosomen gebracht. Auf diesem Weg durchqueren sie auch den Golgi-Apparat (06). Hier fällt die Entscheidung, ob ein Protein abgesondert oder zu anderen Kompartimenten weitergeleitet wird. Jedes Lysosom enthält mehr als 30 verschiedene Enzyme, die im rauen endoplasmatischen Retikulum (05), einem schlauchartigen Organell mit labyrinthartiger Struktur gebildet werden. Lysosomale Enzyme sind den hydrolytischen Enzymen ähnlich, die das Verdauungssystem zur Verdauung von Nahrung ausscheidet. Somit dienen Lysosomen als das intrazelluläre "Verdauungssystem".

 

Klinische Anzeichen

Lysosomale Speicherkrankheiten betreffen vor allem das Kleinhirn; oft sind auch mehrere Bereiche des Gehirns und des Rückenmarks involviert. Die neurologischen Symptome variieren je nach enzymatischem Defekt und reflektieren die Beteiligung des Kleinhirns, Vorderhirns, Rückenmarks und manchmal des peripheren Nervensystems. Fehlfunktionen des Vorderhirns können zu sekundärer Unterzuckerung bei einigen dieser Erkrankungen führen. Es gibt auch Speicherkrankheiten die eine periphere Nervenschädigung als alleiniges Merkmal (z. B. Niemann-Pick-Krankheit bei siamesischen Katzen)  aufweisen oder nur Teil des klinischen Syndroms sind. Viele Katzen weisen neuromuskuläre Störungen auf. 

Die meisten Kätzchen weisen bei der Geburt keine Symptome auf. Im Laufe von Wochen/Monaten kommt es schließlich durch die Anhäufung von Speicherprodukten zu multifokalen und diffusen Hirnschädigungen inkl. der entsprechenden Symptome/Kombination dergleichen. Das Auftreten von Anzeichen kann aber auch verzögert bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter erfolgen. 

  • Skelett: Gesichtsfehlbildungen (grobe Gesichtszüge), Trichterbrust, Verrenkungen von Hüft- und Oberschenkelgelenken, Fehlbildungen der Hüftgelenkpfanne und des Oberschenkelknochenkopfes, Verschmelzung der Halswirbel (Blockwirbel), Zwergwuchs, Kollaps der Bandscheibenräume, Röhrenknochendeformation

  • Muskeln: Kopfzittern, Bewegungsstörungen (verringerte Fähigkeit/Unfähigkeit Bewegungen ausführen zu können, überschießende Bewegungen, Krampfanfälle), Lähmungen, Gewichtsverlust durch Muskelabbau.

  • Organe & Gewebe: Lebervergrößerung meist ohne Anzeichen eines Leberversagens. Milzvergrößerung, krankhafte Veränderungen an den Augen wie grauer Star und schielen, wobei Hornhauttrübungen am häufigsten zu beobachten sind. Netzhautdegeneration (Erblindung), Taubheit, Blutveränderung (verminderte Blutzellenanzahl und Ansammlung von aufgequollenen schaumigen Makrophagen in verschiedenen Geweben), Schluckstörungen inkl. Schmerzen, Nieren- und Herzversagen, Bindegewebsveränderungen.

  • ZNS: Störungen der Nervenzellfortsätze - zuständig für elektr. Impulse, Nervenstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, herabgesetzte oder fehlende Reflexe, stereotypes Verhalten, Störung der Tiefensensibilität, extreme Schläfrigkeit, allgemeine Schwäche.

Differenzialdiagnose

Die neuromuskulären Symptome der Speicherkrankheiten müssen klar von erworbenen Krankheiten unterschieden werden. 

  • Stoffwechselerkrankungen des Gehirns - meist episodisch auftretend - vor allem organische und Aminosäure-Erkrankungen. Großes Blutbild, biochemische Analyse und Urinanalyse oft diagnostisch. 

  • Vergiftungen - akuter Beginn der klinischen Symptome; Anamnese.

  • Unterentwicklung des Kleinhirns, durch eine zuvor durchgemachte Parvovirusinfektion oder Meningoenzephalitis, die zu Hirn-, Hirnhaut-, und Rückenmarksentzündung führen. Möglich sind auch Anzeichen wie Entzündung der Netz- & Aderhaut. Grund hierfür kann eine feline infektiöse Peritonitis (FIP) oder Toxoplasmose sein. Die Fehlentwicklung beginnt im Alter von 3-6 Wochen; Liquoranalyse. 

  • Nervenzellsterben von Hirn- & Rückenmark - Defizite sind begrenzt auf das Kleinhirn; kann in den frühen Stadien ohne spezifische Tests schwierig zu unterscheiden sein.

Diagnose

Eine vorläufige Diagnose basiert bei jungen Katzen auf klinischen Anzeichen einer fortschreitenden, multifokalen/diffusen Gehirnschädigung, insbesondere wenn es sich um eine empfängliche Rasse handelt. Die definitive Diagnose einer bestimmten Form kann durch genetische Tests auf bekannte Mutationen im Blut, den Nachweis mangelhafte Enzymaktivität durch Gewebebiopsien (Leber oder kultivierte Fibroblasten) oder weiße Blutkörperchen erreicht werden. Die Identifizierung des Speicherproduktes erfolgt im Allgemeinen nach dem Tod. Da lysosomale Speicherkrankheiten oft Bereiche außerhalb des Gehirns einbeziehen, beeinflusst das die klinische Ausprägung einer bestimmten Krankheit und/oder die Zugänglichkeit von Gewebe für Untersuchungen oder beides. 

  • Röntgen: Knochenfehlbildungen sind z. B. bei Mukopolysaccharidosen charakteristisch.

  • Elektromyografie (Nervenleitungsstudien): Erkrankungen, die mit peripheren Nervenschädigungen oder Muskelschwäche einhergehen, zeigen hier Abnormalitäten auf.

  • Urin: Tests die dem Auffinden von über die Nieren ausgeschiedenen Stoffen dienen sind wichtig. Das aus den geschädigten Zellen austretende Material kann mittels Toluidinblauprobe für Mukopolysaccharidose, durch Elektrophorese für Glykosaminoglykan und Chromatografie für Oligosaccharid nachgewiesen werden. Auch die Anhäufung von Substanzen z. B. Oligosaccharid in α-Mannosidose ist nachweisbar.

  • Blut & Gewebe: Membrangebundene Zelleinschlüsse lassen sich mithilfe des Elektronenmikroskops entdecken. Eine exakte Diagnose erfordert oft den Nachweis eines Enzymmangels. Dieser wird nach dem Tod der Katze durch frische tiefgefrorene Gewebeproben von Leber und Gehirn mittels Enzymuntersuchung ermittelt. Enzymanalysen zu Lebzeiten können anhand von getrockneten Blutstropfen auf speziellem Papier (Blutausstrichen zur Offenlegung von abnormen Granula oder Vakuolen in Leukozyten), Proben weißer Blutzellen, sog. Fibroblastenkulturen (Haut- oder Skelettbiopsie) und vereinzelt mittels Serum durchgeführt werden. Bei betroffenen Katzen liegt oft eine stark eingeschränkte Enzymaktivität von nur 0-20 % des speziellen Enzyms vor. Andere (lysosomale) Enzymaktivitäten erscheinen hingegen normal oder erhöht. Symptomlose Katzen weisen eine Enzymaktivität von rund 50 % auf. Durch eine gründliche Analyse mit histochemischen Färbetechniken z. B. bindendes Lektin (Protein) kann das angehäufte Material in Neuronen, Leber und anderem Gewebe nachgewiesen werden.

  • CT/MRT: Leicht ausgeprägter Wasserkopf, erhöhte Signalintensität im Corpus callosum (fasrige Verbindung zwischen den beiden Großhirnhälften) auf T1-W-Bildern, beidseitig symmetrische erhöhte Signalintensität des Corpus callosum, Centrum semiovale (weiße Substanz im Großhirn zwischen Balken und Hemispährenrinde), Capsula interna (Teil des Großhirns aus weißer Substanz), Corona radiata (weiße Substanz die sich abwärts der Capusla interna fortsetzt) und zerebraler weißer Substanz auf T2-W-Bildern und symmetrische Verstärkung des Corpus callosum, Capsula interna und der Corona radiata nach Verabreichung von Gadolinium (Kontrastmittel für MRT).

  • Gangliosidosen: GM2 schließen einen Gewebeschwund von Nervenzellen mit unterschiedlichem Schweregrad, beidseitig symmetrische T2-Hyperintensität (heller) und T1-Hypointensität (dunkler) zum Nucleus caudatus (Kerngebiet des Endhirns) sowie diffuse T2-Hyperintensität zur weißen Substanz ein. MRT-Befunde bei Gangliosidose (GM1) umfassen einen Vergrößerung der grauen Substanz und eine abnormale Signalintensität der weißen Substanz auf T2-W-Bildern oder diffuse T2-Hyperintensität der weißen Substanz und Hirnschwund.

     

  • Ceroid Lipofuszinose: MRT-Befunde umfassen einen Hirnschwund, wie er durch die Erweiterung der Einfurchungen der Großhirnrinde, Kleinhirnrissen und Ventrikelerweiterung angezeigt ist. Von einer Verdickung der Meningen (Bindegewebe, dass das ZNS umschließt) wurde ebenfalls berichtet.

  • Alpha-Mannosidose: Bei dieser Form wurde eine Abnahme der ADC-Werte (Beweglichkeit von Wassermolekülen in einer bestimmten Region) von weißer und grauer Substanz und eine Zunahme der T2-Werte der weißen Substanz berichtet, was zu einer neuronalen Schwellung, abnormalem Myelin und Astrogliose (Vermehrtes auftreten von vergrößerten und gewucherten Astrozyten) führt. Die Spektroskopie hat sich als nützlich erwiesen, um Katzen mit Mannosidose von normalen Tieren zu unterscheiden.

  • Liquor: Eine Liquoranalyse legt evtl. einen erhöhten Proteinspiegel bei normaler Zellanzahl offen.

  • Gentest: Bei vielen lysosomalen Speicherkrankheiten wurden die spezifischen genetischen Mutationen identifiziert und sequenziert, die für die Enzymdefekte verantwortlich sind. Es ist möglich, einige dieser Krankheiten bei Katzen zu diagnostizieren, indem das defekte Gen anhand einer Blutprobe nachgewiesen wird. Für den Nachweis der Globoidzell - Leukodystrophie und der felinen MPS VI durch DNA gibt es bereits solche Tests. Es gibt einige Labore die Tests auf einzelne Erberkrankungen oder Kombipakete anbieten.

  • ZNS: Einige Merkmale krankhafter Nervenschädigungen sind offensichtlich. Die Speicherung in den Nervenzellen ist durch eine massive zellinterne Ansammlung von körnigen/vakuolenartigen Einschlüssen unter Verdrängung anderer Zellorganellen gekennzeichnet. Die Nervenzellen erscheinen dadurch geschwollen. Es kommt zu großflächigen Schäden, allerdings sind manche Bereiche stärker involviert. Je nach Art des Speicherdefekts können auch Glia-, Endothel- und Choroid-Plexus-Epithelzellen (Netzwerk aus kapillaren und Ependymzellen in Hirnventrikeln) betroffen sein. Im weiteren Verlauf hat das Schwellungen der Nervenzellfortsätze sowie den Verlust von Synapsen/Dornenfortsätze der Nervenzellen zur Folge. Bei manchen Katzenpopulationen kommt es zum Untergang von Nervenzellen und Gewebe.

Behandlung & Prävention

Die Behandlung zielt darauf ab, die Anhäufung von Speicherprodukten zu verringern. Es hat sich gezeigt, dass im allgemeinen etwa 5 % der normalen Enzymaktivität ausreichen, um klinische Symptome zu verhindern oder rückgängig zu machen. Viele der Optionen sind mit Autoimmunreaktionen (transplantiertes Material), temporärer Wirkungsdauer und der Unfähigkeit, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, verbunden. Trotz dieser Nachteile wurde bereits von mehreren erfolgreichen Behandlungen bei Katzen berichtet. 

  • Ambulante Pflege: wenn die Schwere der Defizite die häusliche Pflege zu lässt

  • Sicherheit: Absichern oder entfernen aller Örtlichkeiten, die für Epilepsiekatzen gefährlich sind (Treppen, Regale, scharfe Kanten & Gegenstände). Epilepsie bei Katzen – Tipps & Hinweise für Katzenhalter 

  • Nahrung & Flüssigkeiten: für die richtige Aufnahme sorgen, da die Katzen oft geschwächt sind; eine Flüssigkeitstherapie durch direkte Infusion & Ernährungsunterstützung über den Darm oder Infusion kann bei schweren Erkrankungen notwendig sein.

  • Knochenmarktransplantation: wird experimentell mit mäßigem Erfolg angewendet.

  • Medikamente: In einer Studie führte die orale Behandlung von Katzen, die an der Niemann-Pick-Krankheit Typ C litten, mit einem Iminozucker namens Miglustat zu einem verzögerten Auftreten nervenbedingter Symptome, einer längeren Lebensdauer und einer verminderten Anhäufung von Gangliosiden (GM2) in Neuronen und Purkinjezellen (Nervenzellen des Kleinhirns). 

  • Gentherapie: ein Bereich intensiver Forschung, der Hoffnung auf spezifische Behandlung bieten kann. Ein vielversprechender Ansatz ist die Abgabe von funktionellen Kopien des spezifischen defekten Gens direkt an das Gehirn (entweder per Injektion oder in das Funktionsgewebe) unter Verwendung eines genetisch modifizierten Viruspartikels (virale Vektors). Die Kopie des Gens wird in die Zielzelle eingebaut, die dann beginnt, das mangelhafte Enzym zu produzieren. Dieser Therapie hat sich bei der Behandlung von α-Mannosidose als wirksam erwiesen.

  • Enzymersatztherapie: Die direkte Injektion künstlichen Enzymersatzes hat in einer experimentellen Umgebung eine gewisse Wirksamkeit gezeigt. Intravenöse und/oder künstliche Enzymersatztherapien wurden bereits erfolgreich zur Behandlung von Mukopolysaccharidose Typ VI eingesetzt.

  • Folgeinfektionen: Katzen können ein erhöhtes Risiko haben, eine Sekundärinfektion zu entwickeln. Eine genaue Überwachung inkl. Kontrainjektionen und evtl. Behandlung sind daher notwendig.

  • Zucht: Kontrolle und genetische Beratung kann nützlich sein, um potenzielle "Trägerkatzen" zu identifizieren.

Prognose

Die Prognosen für lysosomale Speicherkrankheiten sind nur begrenzt gesichert und fallen eher schlecht aus. In einer Mehrzahl der Fälle müssen die Katzen bereits im ersten Lebensjahr aufgrund starker neurologischer Ausfälle euthanasiert werden. Bei den langsam fortschreitenden Störungen, wie z. B. Ceroid-Lipofuszinose, kommt es 1 bis 2 Jahre nach der Diagnose zum Tod oder Euthanasie. In Einzelfällen kann jedoch eine experimentelle Therapie inkl. neuen Arzneimitteln, Enzymtherapie, Knochenmarktransplantation und Gentherapie möglich sein. Laufende Fortschritte in der molekularen Diagnostik, Enzymersatz- und Gentherapie werden in naher Zukunft zu einer günstigeren Prognose bei allen lysosomalen Speicherkrankheiten führen.