Epilepsie bei Katzen: Multisystematrophien des ZNS

Definition

Unter der Erkrankungsgruppe der Multisystematrophien (MSA) werden sporadisch auftretende neurodegenerative Erkrankungen unklarer Ursache zusammengefasst. Charakteristisch ist eine „systemübergreifende“ Störung der Bewegungssteuerung, der Kleinhirnfunktion und des autonomen Systems, die sich im Erwachsenenalter zeigt. Eine Parkinson-Symptomatik kann durchaus zum Bild der Multisystematrophie gehören. Unter MSA werden die früher verwendeten Diagnosen »striatonigrale Degeneration«, »olivo-ponto-zerebelläre Atrophie« und »Shy-Drager-Syndrom« zusammengefasst. Bei allen MSA-Typen stehen die autonomen Regulationsstörungen im Vordergrund. Die klinische Einteilung erfolgt nach den im Vordergrund stehenden motorischen Symptomen.

MSA-C (zerebellärer Typ früher olivopontozerebelläre Atrophie)

Hauptsächlich zerebelläre Funktionsstörungen und ein zusätzliches, leichtes Parkinson-Syndrom ist häufig. Charakteristisch ist das geringe Ansprechen auf L-Dopa. L-Dopa auch als Levodopa bezeichnet, ist eine durch Hydroxylierung (Einführung von Hydroxylgruppen in ein Molekül) aus Tyrosin (Aminosäure) gebildeter Stoff und dient als Vorstufe unterschiedlicher Substanzen wie Melanin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin.

MSA-P (Parkinson-Typ früher striatonigrale Degeneration)

Parkinson-Symptomatik mit ausgeprägten autonomen Symptomen. Die Wirkung der klassischen Parkinson-Medikamente ist begrenzt, ein L-Dopa-Test sollte allerdings immer erfolgen.

Olivopontozerebelläre Atrophie 

Die olivopontozerebelläre Atrophie (OPCA) bei Katzen geht einher mit fortschreitenden Kleinhirnsymptomen und einem Verlust von Purkin-, Korb-, Golgi-, Stern- und Granulazellen. Im Brückenkern und den Olivenkernen wurde ebenfalls ein stark verringertes Zellaufkommen bemerkt. Dominant vererbte und spät auftretende OPCAs, die beim Menschen beobachtet werden, haben ihre Ursache in den sog. erweiterten Triplett-Repeats, das sind Nukleotidsequenzen der Ataxin-Gene. Typische ubiquitinierte nukleare Einschlüsse, sowie die torpedoförmige Bildung geschwollener Purkinjenervenzellfortsätze, wie sie bei menschlichen OPCA beobachtet wurden, fehlten jedoch bei Katzen. Ob der Zustand bei Katzen sporadisch und nicht genetisch bedingt ist, muss noch bestätigt werden.

Ubiquitinierung = die Übertragung von Ubiquitin (Protein) auf ein Zielmolekül. Die Folge ist in den meisten Fällen der Abbau dieses Zielmoleküls.

Entstehung & Verbreitung

Histologisch charakteristisch sind zytoplasmatische Einschlüsse von Oligodendrozyten (Gliazellen) in den End- und Zwischenhirnkernen der grauen Substanz, in den Olivenkernen, zerebellären Purkinje-Zellen sowie in den autonomen Kerngebieten. Da der Hauptbestandteil dieser Einschlüsse ein lösliches Protein namens α-Synuclein ist, wird die MSA zu den Synukleinopathien gezählt. Dabei kommt es zu einer Verminderung der Andockstellen für Dopamin im sog. Streifenkörper des Gehirns. Makroskopisch betrachtet kann man eine kombinierte Kleinhirn-Pons-Atrophie erkennen; ebenso kommt es zu Rückenmarksschwund. 

klinische Anzeichen

  • Zerebelläres System: Bewegungsstörungen inkl. der Augenbewegung & Stürze, Sprachstörung, Zittern der Gliedmaßen

  • Extrapyramidal−motorisches System: Bewegungsarmut, Muskelsteifheit, Fehlen von unwillkürlichen Mitbewegungen

  • Autonomes System: Störung der Blasenkontrolle, niedriger Blutdruck/Körperhaltung

  • Pyramidal−motorisches System: übersteigerte Reflexbereitschaft - starke Reflexantwort mit leichter Auslösbarkeit 

Symptome einer autonomen Dysfunktion, die häufig den motorischen Symptomen vorausgehen

  • Blasenfunktionsstörung (meist Kombination aus Blasenentleerungsstörung mit Restharnbildung und Inkontinenz)

  • plötzlicher Blutdruckabfall z. B. nach dem Aufstehen bei vorherigem Liegen

  • kalte Körperenden 

  • mögliche Zusatzsymptome

  • Krankhaftes Atemnebengeräusch durch Verengung der Atemwege bei beidseitiger Stimmbandlähmung

  • rasch fortschreitendes Parkinson-Syndrom

  • fehlendes/geringes Ansprechen auf L-Dopa

  • Instabile Körperhaltung innerhalb von 3 Jahren nach motorischem Erkrankungsbeginn

  • Parkinson-Syndrom kombiniert mit Gang-, Sprach-, Bewegungsstörungen (Extremitäten und/oder Augen)

  • Schluckstörungen mit Schmerzen innerhalb von 5 Jahren nach motorischem Erkrankungsbeginn

  • Sichtbarer Schwund vom Kerngebiet des Großhirns (Putamen), Verbindungsstellen des Kleinhirns (mittlerer Kleinhirnstiel), Abschnitt des Hirnstamms (Pons) oder Kleinhirns im MRT.

  • Verminderter Stoffwechsel im Putamen, Hirnstamm oder Kleinhirn erkennbar durch Fluordesoxyglucose-Positronen-Emissions-Tomografie (FDG-PET)

  • erkennbare verminderte Dichte von Dopaminrezeptoren im Racloprid-PET oder Lodobenzamid-Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (IBZM-SPECT)

Differenzialdiagnose

  • kortikobasale Degeneration: Es kommt zu einer Ansammlung von dem aus Tau-Protein bestehenden Ablagerungen im Gehirn inkl. einer fortschreitenden Funktionsabnahme. Diese Erkrankung beginnt oft einseitig. Zu den extrapyramidal−motorischen Symptomen treten sensorische Phänomene, Bewegungsstörungen durch unwillkürliche Muskelkontraktionen, Unfähigkeit bewusste Bewegungen durchzuführen und Demenz auf.

  • Normaldruckwasserkopf: Dieser ist durch Erweiterungen der inneren Liquorräume gekennzeichnet, ohne dass ein deutlich erhöhter intrakranieller Druck vorliegt.

  • kognitive Dysfunktion: Es kann bei beiden Erkrankungen zu ausgeprägten Störungen der extrapyramidalen Motorik kommen. 

  • ungeklärte oder erbliche Kleinhirnatrophien: Hier fehlen zusätzliche Symptome, v.a. vegetative Störungen liegen nicht vor. Evtl. ist die Familienanamnese positiv.

  • Paraneoplastische Syndrome: Damit werden spezielle Symptome & Befunde, die in Kombination mit einer Tumorerkrankung auftreten, aber keine direkte Folge des Tumorwachstums oder Metastasenbildung beschrieben. Deren Verlauf ist schnell fortschreitend; evtl. liegt eine positive Tumoranamnese vor.

Diagnose

Das Auftreten zytoplasmatischer, durch Silbernitrat-Lösung einfärbbarer Einschlusskörperchen (a−Synuclein−Aggregate) in Oligodendroglia und Nervenzellen ist für MSA typisch und ein Unterschied zu Parkinson, bei dem sog. Lewy−Körperchen auftreten. Anhand der klinischen Symptome, Kombination autonomer Störungen mit einem Parkinson−Syndrom und/oder einer zerebellären Ataxie, kann eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Im MRT lässt sich eine Atrophie von Mittelhirnregion, Hirnstamm und Kleinhirn nachweisen. Zusätzlich können die Befunde einer Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT), Kipptischuntersuchung sowie eine Elektromyografie der Schließmuskeln (Sphincter−EMG) herangezogen werden. Die Diagnose MSA wird also gestellt, wenn ein Parkinson-Syndrom und/oder ein zerebelläres Syndrom in Verbindung mit einer schweren autonomen Dysfunktion vorliegt.

Behandlung & Prognose

Es gibt keine medizinische Therapie, die die Ursachen bekämpfen kann; lediglich eine symptomatische Behandlung. Im Allgemeinen schreitet die Krankheit über Monate hinweg fort und endet in den meisten Fällen tödlich - MSA's sind in der Prognose deutlich ungünstiger als einzelne Atrophien. Die Katzen entwickeln häufig eine schmerzhafte Schluckstörung, bekommen zunehmend Gleichgewichtsstörungen und werden letztendlich gehunfähig. Der Tod tritt oft infolge von Komplikationen wie z. B. einer Lungenentzündung mit Beteiligung der Bronchen ein.

Die symptomatische Behandlung des extrapyramidal-motorischen Syndroms erfolgt mit L−Dopa. Dies ist aufgrund der Degeneration der Zielzellen häufig nur in den Anfangsstadien der Erkrankung wirksam - dennoch sollte immer ein Therapieversuch erfolgen. Dopaminagonisten oder Amantadin sind nur in Einzelfällen wirksam; v.a. Dopaminagonisten können auch einen plötzlichen Blutdruckabfall verursachen. Zur Behandlung der autonomen Störungen wie z. B. Restharn ist eine Katheterisierung, bei Störungen der Schließmuskelkontrolle je nach Art der Störung die Gabe von anticholinergen Substanzen (z. B. Oxybutynin) oder alpha−Rezeptorblockern (z. B. Prazosin) erforderlich.

Achtung: Durch eine Blockade der Alpharezeptorenkann eine schlechte Körperhaltung noch verstärkt werden; der Therapieeinsatz ist hierdurch größtenteils limitiert. Ein plötzlicher Blutdruckabfall kann durch eine erhöhte Kochsalzzufuhr, Gabe von Mineralokortikoiden (z. B. Astonin−H) oder Sympathikomimetika (z. B. Ephedrin - Erregungsübertragung) behandelt werden.