Katzenverhalten: Vermenschlichung (Anthropomorphismus)

Rückblick auf wichtige Punkte 

Ursächlich für störende Verhaltensmuster, Zwangs- & Verhaltensstörungen sind Krankheiten und menschliches Fehlverhalten oder es handelt sich schlicht um fehlinterpretiertes normales Verhalten. Katzen sind aus mehreren Gründen nicht in der Lage Verhaltensweisen wie Rache auszuüben. Betroffene Katzen zeigen beispielsweise Aggression und Angst – sie sind Opfer von Mängeln und diese Verhaltensmuster dienen als Warnsignale. Durch die »Andichtung« menschlicher Verhaltensmuster leiden unsere Katzen mehrfach – erst Krankheiten und/oder falsche Haltungsbedingungen und obendrein Bestrafungen. Anschreien, Klatschen, wegjagen, angstlösende Medikamente, Füttern, Isolation oder das Benutzen einer Wasserspritze sind kontraproduktiv oder haben diese Situation sogar verursacht. Ebenso kann auch streicheln oder einreden auf die Katze die Situation verstärken. Allen ist eines gemeinsam – sie »lösen« das Problem falsch und einige werden sogar die Verbindung und das Vertrauen dauerhaft schädigen. Das bloße beseitigen evtl. Spuren (Harn markieren) oder das Wegsperren sind hierbei keine Lösung und werden das Problem verschlimmern – denn der Stressauslöser befindet sich für gewöhnlich in der näheren Umgebung. 

Viele Verhaltensweisen, die für die Halter problematisch sind, sind in Wirklichkeit normale Verhaltensweisen. Die meisten Menschen betrachten das Verhalten von Katzen aus menschlicher Sicht und haben somit unrealistische Erwartungen. Dies führt zu Missverständnissen und schlimmstenfalls zum Ende der Bindung. Versuchen Sie deshalb unbedingt die Umgebung ihrer Katze mit »ihren Augen« zu sehen. Unerwünschte Verhaltensweisen werden oft gesondert betrachtet, obwohl diesen dieselben Entwicklungsprinzipien zugrunde liegen, die für erwünschtes Verhalten verantwortlich sind. In vielen Fällen hat ein solches Verhalten als normale Reaktion begonnen und wird versehentlich verstärkt. Ein Großteil der Verhaltensprobleme entsteht auch dadurch, dass ein Halter das natürliche Verhalten seiner Katze nicht versteht. Oft unterschätzen Halter wie viel geistige und körperliche Stimulation Katzen benötigen, insbesondere bei Wohnungshaltung. Das Auftreten vieler Probleme wird dadurch beeinflusst, dass die Katzen keine Gelegenheit haben normales artspezifisches Verhalten auszuüben.

Störende Verhaltensmuster führen oft zu Bestrafungen der Katzen, indem sie angeschrien oder verjagt werden. Durch diese negative Reaktion hört die Katze natürlich nicht mit dem Verhalten auf, sondern lernt folgerichtig es nur in Abwesenheit des Halters auszuüben, denn die Ursachen sind nicht beseitigt – die Folge sind weitere Bestrafungen. Katzen irritiert auch die scheinbare Unberechenbarkeit ihres Halters, denn sie verstehen nicht den Grund für die Bestrafung. Leider gehen viele Halter anthropomorphisch davon aus, dass dieses Verhalten rachsüchtig oder boshaft ist was zu einer Bestrafung und damit zu einer verängstigten Katze führt. Hierdurch steigt wiederum die Rate störender Verhaltensmuster überproportional an. Möglich ist auch das die Katze die Reaktion ihres Halters nicht als Bestrafung sieht, sondern als Bestärkung (Aufmerksamkeit). In den genannten Fällen wird also das unerwünschte Verhalten durch den Halter unbewusst verstärkt.

Vermenschlichung im Alltag

Wer kennt sie nicht, die Beschreibungen von Katzenhaltern über ihre Lieblinge? Im Internet beispielsweise werden Tagebücher in der Ich-Perspektive veröffentlicht. »Liebes Tagebuch, heute konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – Rache für den Tierarztbesuch am Vormittag und dem treudoofen Hund ein Schnippchen schlagen. Zunächst habe ich die Wirkung der Schwerkraft auf die kostbare Blumenvase in Hundenähe überprüft. Das Ergebnis war eindeutig, wobei die Vase leider den Mitbewohner um wenige Zentimeter verfehlt hat. Dennoch konnte ich diesem, dank eines schnellen Ortswechsels unters Bett, die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Anschließend habe ich mich noch bei meinem Dosenöffner für die rektale Temperaturmessung beim Tierarzt mit einem schönen Pipi Fleck auf seiner neuen Jacke bedankt – was für ein erfolgreicher Tag! Ich denke morgen werde ich mich den hässlichen Tagesvorhängen widmen, dem verhassten Nachbarn die Rosenbeete umpflügen und den nervenden Vogel von nebenan dinieren.«

Als Katzenhalter schmunzeln sie vielleicht und denken »Wie wahr, wie wahr«  – und dennoch verhält es sich ganz anders! Natürlich verstehe ich aus eigener Erfahrung, das es schwerfällt, Katzen nicht als Personen inkl. ichbezogener Gefühle und Gedanken zu betrachten. Sicherlich macht es Ihnen Freude sich vorzustellen, dass ihre Katze ein kleines, nettes und süßes Mädchen ist, die sie abgöttisch liebt, ohne Sie nicht Leben kann und stets ihrer Nähe bedarf. Ein solche Vermenschlichung hat vermeintlich für beide Seiten Vorteile. Die Empathie für das Leiden und die Gefühle unserer Katze machen uns glücklicher und »menschlicher«. Das Gefühl der tiefen Verbundenheit steigert unser Wohlbefinden – Tierhalter weisen bekanntermaßen eine bessere psychische Gesundheit auf. Die Vorstellung, dass unsere Katze so fühlt und denkt wie wir, hilft uns eine besondere Nähe aufzubauen und trägt ebenfalls dazu bei, dass wir uns gut um sie kümmern. 

Ein weiteres sehr wichtiges Kapitel betrifft die nicht artgerechte Haltung und Tiermisshandlung. Beginnend von Katzenstreu mit Babypuder-Duft, dem Anziehen menschlicher Bekleidung bis hin zur Aussetzung und Tötung. Dieses umfangreiche Thema wird von mir in einem gesonderten Artikel erörtert.  

Beispiele & Meinungen

Der Grund ist, dass wir aufgrund unserer Andersartigkeit, oft Projektionen treffen die störendes Verhalten fördern oder überhaupt erst zu Verhaltensstörungen führen. Natürlich kann ein Katzen-Roman oder »Tagebucheintrag« sehr erheiternd, entspannend und niveauvoll sein – in der Realität sollten wir uns aber stets bewusst sein, das dieses Verhalten absolut nichts mit unserer täglichen Mensch-Katze Beziehung gemein hat. Vereinfacht gesagt: Die Katze muss Katze sein dürfen – mit all ihrem natürlichen Verhalten und Bedürfnissen und ohne das wir unsere menschlichen Maßstäbe anlegen. Katzen gehören zu den erfolgreichsten Raubtieren unseres Planeten, sie sind zeitgleich Familienmitglieder und gerade deshalb sollten wir sie so akzeptieren wie sie sind. Wie aus Entwicklung, Genetik & Instinkte bekannt, sind Katzen im Gegensatz zu Hunden und anderen Tieren nur bruchstückhaft domestiziert – sie gelten eher als Symbionten. In der Mensch-Haustiergeschichte nehmen daher Katzen eine besondere Rolle ein und bleiben auch weiterhin unabhängig und selbstständig.

Sie finden ihre Katze süß und es fällt schwer Ihnen schwer anders darüber zu denken. Warum sollte sie schließlich süß, charmant, liebenswert und liebevoll zu Ihnen sein, wenn sie es nicht sein will? Ein kleines Geheimnis: Raten Sie mal, welche Katzen zu Hause durch sog. Harnmarkieren auffallen. Es sind oft die Kleinsten, süßesten und ängstlichen. Diese Katzen versuchen sich selbst auf diese Weise zu beruhigen und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Auf diese Weise kann die kuscheligste und niedlichste Katze auch zugleich die hartnäckigste Harnmarkiererin sein. Eine andere Variante ist, sich stets in der Nähe des Menschen aufzuhalten und sich an jenem zu reiben – ein Zeichen für unsere Vorstellung von Liebe? Eher ein Garant für Zuneigung, Futter und eine beruhigende Stimme – das steckt hinter unserer Vorstellung von süß. 

Züchter

Der erstmalige Züchter von Ragdolls behauptete, dass das Muttertier von Natur aus besonders anhänglich sei. Manchmal ist das Weglassen von Fakten auch eine Art von Lüge – denn diese Katze hatte sich erst nach etlichen Traumata aufgrund eines Autounfalls derart an ihren Halter gebunden.

Verhaltensforscherin 

Lt. Dr. Beaver geht die Sozialisierung einer Katze schneller vonstatten, wenn diese unter Stress steht oder eine andere starke Emotion wie Hunger, Schmerz oder Einsamkeit durchlebt. Was auf uns niedlich oder süß wirkt, kann in Wahrheit auch Stress und Angst als Hintergrund haben. Noch ein Beispiel? Einige Menschen sind der Meinung, dass Siamesen freundlicher sind als andere Katzenrassen – der Grund dafür kann aber auch sein, dass diese Rasse ein dünneres Fell hat und deshalb menschlichen Kontakt und Wärme sucht.

Autoren

Der ehemalige Psychoanalytiker und Autor Jeffrey Masson schrieb sinngemäß »Zu viele Menschen neigen dazu Katzen, als einfache Wesen mit wenig Emotionen zu sehen. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, Katzen sind fast pure Emotion«. Damit hat er recht, denn in den letzten Jahren hat die Forschung an vielen Tieren gezeigt, dass sie über ein umfangreiches Gefühlsleben verfügen. Neben Instinkten wie Angst und Furcht sind sie auch in der Lage, den Verlust ihrer menschlichen oder tierischen Gefährten zu betrauern, werden depressiv, erleben Vor(Freude) und reagieren emotional auf deutliche Veränderungen in ihrer Umgebung. Katzen und Menschen verfügen über die gleiche Neurochemie des Gehirns, die es erlaubt zu fühlen. Die Emotionen der Katzen sind aber deutlich geringer kompliziert und uns weitaus fremder als bei den meisten Menschen.

Falsche Schlussfolgerungen: Eine neue Katze trifft den »Plan« sich schnurrend auf seinen Schoß zu setzen, um ihre Chance auf einen dauerhaften Wohnsitz zu erhöhen. Genau indem Moment als sie merkt, das ihr Vorhaben aufgegangen ist, stellt sie das Verhalten ein. In Wirklichkeit gibt es dutzende andere Gründe, warum die Katze in diesem Moment ihren Halter verlässt. Weiterhin merkt er an, das eine seiner Katzen nicht gerne spielt, sofern andere zuschauen. Masson weiß, dass Katzen keine Schuld, Reue, Scham oder Schüchternheit empfinden, dennoch glaubt er, dass sich eine Katze verlegen oder gedemütigt fühlen kann, wenn sie z. B. das Beuteobjekt verfehlt – was seiner Ansicht nach durch anschließendes Pfoten lecken bestätigt wird. Er glaubt auch, dass eine Katze, die in das Zimmer ihres abwesenden Halters schreitet, miaut, dann durch das Haus wandert und in dieses Zimmer zurückkehrt, einen Beweis für Liebe sei. Weiterhin äußert er, dass Katzen aus Zuneigung starren. 

Der Autor Eckhart Tolle schrieb sinngemäß: »Ich habe mit mehreren Zen-Meistern gelebt, und zwar Katzen«. Dass wir uns oft nicht in diesen Zustand hineinversetzen können, ist bedauerlich, aber es macht ihn nicht weniger wahr. Katzen planen keine Hinterlist und manipulieren uns nicht mit Bedacht. Wenn sie wie bei Masson beschrieben einen Sprung verfehlen, sind sie vermutlich erschrocken, verängstigt und lecken sich danach selbst, denn das dient der Selbstberuhigung – aber es ist Ihnen nicht peinlich. Auch wenn es hart klingen mag, aber Katzen können sich genauso wenig gedemütigt fühlen wie eine Maus oder eine Pflanze.

Wenn eine Katze eine andere Katze anstarrt, soll das ggf. bedrohlich wirken – es signalisiert aber niemals Zuneigung, sondern Einschüchterung. Hingegen schauen Katzen den Menschen meist in harmloser Absicht an – Ausnahme bilden aggressive Katzen, die den Besitzer auch mal als Bedrohung anstarren. Ein weiterer Punkt der zu beachten ist, ist das die Katze uns in Wirklichkeit oft gar nicht anstarrt – denn das Sichtfeld einer Katze ist ziemlich weit. Es ist durchaus möglich, das die Katze einen Punkt irgendwo zwischen ihr und uns anstarrt. Generell führt der Vorgang des Starrens zwischen Mensch und Katze zu falschen Vorstellungen. Wie oft haben Sie es schon gehört, dass Katzen immer zu der Person im Raum gehen, die keine Katzen mag und schließlich sogar auf ihren Schoß springt – macht sie das, weil sie provozieren will? Viel realistischer ist, dass die Person, die keine Katzen mag oder zumindest sich nicht für sie interessiert keinen Augenkontakt hergestellt hat und daher nicht als Feind oder Bedrohung empfunden wird.

Resümee

In der Realität denken Katzen nicht über uns nach, zumindest nicht in unserem Sinne des Denkens, weil ihnen der kognitive Rahmen fehlt, der dafür notwendig ist. Sie können keine Gedanken fassen wie: »Ich werde mich an Dir rächen« oder »Ich weiß, dass Du das hasst, aber ich tue es, um Dich zu ärgern«. Katzen betrachten uns lediglich wie ein Zen-Meister ohne zu denken oder zu urteilen. Vielen Katzenhaltern ist es glücklicherweise unmöglich, nicht zu glauben, dass Ihre Katze sie liebt. Realistisch betrachtet sollten diese aber nicht annehmen, dass das Miauen Ihrer Katze bei Abwesenheit oder der Ausdruck in ihren Augen, wenn sie gestreichelt werden ein Beweis für Liebe ist – eher für Hunger, Angst vor dem Alleinsein oder einfach tierische Freude. Wenn sich Beschreibungen über die Katzenkognition stattdessen auf Schweine beziehen würden, könnten wir die Absurdität des Ganzen erkennen – Schweine sind intelligenter als Hunde, was übrigens noch zu ganz anderen ernährungsbedingten Fragen führt! Nur weil Katzen so eng mit uns zusammen leben, kommen wir unweigerlich dazu, unsere eigenen Erkenntnisse auf sie zu projizieren.

Kurz gesagt: Anthropomorphisieren könnte gut für Sie sein, macht manchmal Spaß und es fühlt sich gut für uns an. Selbstverständlich werden wir auch weiterhin die Liebe spüren und zurückgeben, dennoch sollte uns die Gefahr des Anthropomorphismus im Alltag stets bewusst bleiben.

 

 

Anmerkungen zu Ursachen, Entstehung & Entwicklung 

  • Bevor eine sich wiederholende (repetitive) Störung diagnostiziert wird, müssen Krankheitsverursacher ausgeschlossen werden. Das Problem hierbei ist, das die entsprechende Lehre von den Vorgängen im Körper (Pathophysiologie) bei Katzen noch nicht gut verstanden wird. Studien über die Auswirkungen von Medikamenten haben gezeigt, dass verschiedene Neurotransmitter wie Beta-Endorphine, Serotonin und Dopamin beteiligt sind. 

  • Es ist möglich, dass die Katze auf der einen »Seite« zu einem Verhalten animiert wird und gleichzeitig daran gehindert wird, dieses auszuüben. Möglich ist in diesem Zusammenhang auch eine Situation mit zwei konkurrierende Motivationen wie Annäherung & Rückzug.

  • Art, Rasse & Familien-spezifische Häufungen legen nahe, dass es genetische Veranlagungen gibt.

  • Die Autoren sind unterschiedlicher Ansicht, ob der Besitzer durch die positive oder negative Aufmerksamkeit, die er seiner Katze während einer Episode schenkt, das Verhalten verstärkt – aus diesem Grund sollte man davon absehen.